Einst Erlebnisstrasse, heute Transit im Untergrund

Die erste Autobahn der Schweiz entstand in Horw. Sie bot 1955 bei der Eröffnung ein idyllisches Nebeneinander von Autos, Velos und Pferdewagen. Ohne Tempobeschränkung und Pannenstreifen. Heute spielen Kinder auf dem Schlundtunnel und in den Familiengärten wächst Biosalat. Die Sanierung und Erweiterung des Autobahnabschnitts war ein Glücksfall für Horw.

Schnittige Automobile rauschen über die Strasse. Eine Geschwindigkeitsbegrenzung gibt es nicht. Auch keinen Pannenstreifen. Links und rechts liegt eine unverbaute Landschaft. Der Blick schweift über Kuhweiden und das Alpenpanorama. Automobilisten teilen sich die sogenannte Ausfallstrasse von Luzern bis Ennethorw mit Velofahrern und Pferdefuhrwerken.

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Ohne Tempolimite in eine neue Zeit

Was heute nach romantischer Idylle klingt, war in den 1950er-Jahren topmodern. Die erste Autobahn der Schweiz läutete ein neues Mobilitätszeitalter ein und war ein Prototyp. Sie sollte den Standard für den künftigen Ausbau des schweizerischen Autostrassennetzes festlegen. Die Autobahn war in einen Innerorts- und einen Ausserorts­ abschnitt unterteilt. Die Innerortsstrecke begann beim Eichhof Luzern. Sie war vierspurig, aber nicht kreuzungsfrei. Auf Höhe der Arsenalstrasse führte niveaugleich eine Güterbahnlinie zum Militärarsenal über den Autobahnzubringer. Ab hier war die vierspurige Strasse vollständig kreuzungsfrei und richtungsgetrennt. Die rund drei Kilometer lange Autobahn bis Ennethorw war total 20 Meter breit.

Die Fahrt in die Berge als Erlebnis

Die Ausfallstrasse Luzern Süd hatte zwei Ziele. Einerseits sollte Horw vom Verkehr entlastet werden. Horw litt damals, vornehmlich an Sonntagen, unter langen Staukolonnen im Dorf. Andererseits brachte die neue Autobahn die Berge zu den Städtern – und die Stadt in die Berge. Das zeigt sich etwa an der Entwicklung von Stansstad. Bereits die Fahrt zu den Ob- und Nidwaldner Gipfeln sollte nach amerikanischem Vorbild mit einem «Park-way» zum Erlebnis werden. «Der Parkway war eine Strasse durch einen Park. Sie war für den Verkehr gedacht und sollte das Reisen zu einer lustvollen Erfahrung machen», erklärt Renato Casiraghi. Der Horwer war Gesamtprojektleiter der Sanierung und Erweiterung der Autobahn um die Jahrtausendwende und hatte sich damals mit den Anfängen der Autobahn auseinandergesetzt.

Pompöse Eröffnungsfeier

Am 11. Juni 1955 wurde die erste Autobahn mit einer grossen Feier auf der Käppeliallmend in Kriens eröffnet. Nachdem die Strasse gesegnet und das blau-weisse Band durchschnitten war, wurde sie offiziell dem Verkehr übergeben. Eine Autokolonne setzte sich in Bewegung und wurde in Ennethorw unter Böllerschüssen und zu Klängen der Feldmusik Horw von der Bevölkerung «freundlich empfangen», wie der Volksbote schrieb. Die Eröffnung bildete den vorläufigen Höhepunkt eines langen Prozesses. Bereits 1932 lag ein Projekt für eine Strasse am linken Ufer des Vierwaldstättersees vor. Einige Jahre später hatte der Bund dem Kanton Luzern den Auftrag erteilt, ein Projekt für eine Entlastungsstrasse von Luzern an die Kantonsgrenze von Nidwalden auszuarbeiten. Die erste Skizze für eine Autobahn stammt aus dem Jahr 1952. Das Projekt des Kantons wurde mehrfach überarbeitet, da es unter anderem bei den Gemeinden Horw und Kriens anfänglich auf Widerstand stiess.

Schanze auf der Autobahn

Nach der Eröffnung wurde es keineswegs still um die erste Autobahn. Im Gegenteil. Bereits vier Jahre später wurde die Strasse bis zur Nidwaldner Kantonsgrenze erweitert. Mehr Verkehr bedeutete mehr Lärm und eine zusätzliche Belastung für die Strasse. In den 1970er-Jahren lagen erste Sanierungsstudien vor. «Der Baugrund ist extrem schlecht in diesem Gebiet», erklärt Renato Casiraghi. «Beispielsweise im Bereich Schlund senkte sich die Autobahn jährlich um mehrere Zentimeter ab.» Das hatte unter anderem zur Folge, dass sich an einer Stelle eine Schanze in der Strasse bildete, die immer wieder mit neuem Belag ausgeglichen werden musste. «Bei der Sanierung haben wir an dieser Stelle 150 Zentimeter Belag gefunden.»

Erstaunliche Fakten zur ersten Autobahn der Schweiz

  • Die erste Autobahn der Schweiz war drei Kilometer lang und total 20 Meter breit. 
  • Velos durften teilweise die gleiche Fahrbahn benutzen wie Autos. 
  • Das Befahren der Autobahn mit Pferdefuhrwerken war erlaubt. 
  • Die Autobahn hatte anfänglich weder Pannenstreifen noch Leitplanken, die Einfahrten waren extrem kurz. 
  • Es gab keine Geschwindigkeitsbeschränkung. 
  • Wohnungen mit Blick auf die Autobahn wurden speziell angepriesen und waren begehrt. 
  • Es waren sechs Unterführungen und zwei Überführungen in Horw und Kriens notwendig, um der bundesrätlichen Auflage einer kreuzungsfreien Autobahn zu entsprechen.


Das Dorfzentrum gewinnt

Renato Casiraghi
Der Horwer Renato Casiraghi war Gesamtprojektleiter der A2-Erweiterungsbauten.

Mit der Sanierung und Erweiterung dieses Teilstücks der Autobahn A2 wurde im Jahr 2000 begonnen. Die Bauarbeiten dauerten vier Jahre und bedeuteten für die Gemeinde Horw einen Quantensprung. «Es war primär ein Lärmschutzprojekt», sagt Renato Casiraghi. Das Projekt umfasste unter anderem zwei Tunnel mit 960 und 1490 Metern Länge, den neuen Autobahnanschluss Luzern-Horw, drei neue Autobahnzubringer, die Verlegung der Zentralbahn in einen Tunnel, Rückhaltebecken für Hochwasser, neue Rad- und Gehverbindungen, den Ausbau der Bäche und Entwässerungssysteme sowie neue Sport- und Freizeitanlagen auf dem Autobahntunnel. Mit Blick auf die Zubringer sagt Renato Casiraghi: «Das war ein Glücksfall für Horw.» Und insgesamt urteilt er: «Das Projekt wurde nach zahlreichen Änderungen aufgrund von Einsprachen letztlich breit akzeptiert. Die Bevölkerung zeigte während der Bauzeit viel Verständnis, denn sie sah, was sie gewinnen würde.» Dazu gehörten auch die Verlegung der Kantonsstrasse und die Einführung von Tempo 30 durch das Dorfzentrum. Dies wurde durch den Bau des Kreisels Schlund möglich. Das Bauwerk mit einem Durchmesser von über 40 Metern macht deutlich, mit welchen Herausforderungen Renato Casiraghi und sein Team zu kämpfen hatten. «Wegen des schlechten Baugrunds haben wir den Kreisel als Brücke gebaut. Er steht auf 61 Pfählen.» Der Tunnel Schlund hingegen «schwimmt wie ein Rohr» im Untergrund, sagt Casiraghi. «Er befindet sich in einem labilen Gleichgewicht. Wenn man die Überdeckung abträgt, muss dies in Etappen geschehen, damit sich der Tunnel nicht durch den Auftrieb anhebt.»

Die Autobahn als begehrter Wohnort

Von der ersten Autobahn ist heute nicht mehr viel zu sehen. Auch nicht von der Landschaft, wenn man zwischen Luzern und Ennethorw unterwegs ist. Verändert hat sich auch das Verhältnis zur Autobahn. Während in den 1950er-Jahren Wohnungen mit Sicht auf die Autobahn speziell angepriesen wurden, grenz-te man sich zwischenzeitlich mit Sicht- und Lärmschutz von ihr ab. Heute nutzt man den Raum anders. Auf den Tunneldächern wächst Gemüse in den Familiengärten und beim Schulhaus Spitz spielen Zehnjährige auf dem Rasen Fussball. Kinderlachen statt Strassenlärm. Würde das Schulhaus heute gebaut, gingen die Fenster nach Süden – mit Blick auf den See und die Alpen.

Kurze Chronologie

1932

liegt das Projekt für eine linksufrige Vierwaldstätterseestrasse vor.

1952

reicht der Luzerner Kantonsingenieur Otto Enzmann das Projekt für den Bau einer Ausfallstrasse von Luzern nach Ennethorw zur Prüfung an das Oberbauinspektorat in Bern ein.

1955

wird das Teilstück in Horw als erste Autobahn der Schweiz eröffnet.

1959

wird die Autobahn erstmals verlängert; BP baut die erste Tankstelle an der Strecke.

1973

werden verbindliche Höchstgeschwindigkeiten eingeführt.

1981

liegt ein Lärmschutzprojekt vor, das den Anstoss für den Umbau des Autobahnteilstücks gab.

1991

erhält das generelle Projekt «A2-Erweiterungsbauten Kriens-Horw» die Genehmigung des Bundesrats.

1994

wird das Ausführungsprojekt vom Bund genehmigt.

2000

startet die Sanierung und Erweiterung der A2 für insgesamt 666 Mio. Franken.

2004

werden die Bauarbeiten abgeschlossen und das Autobahnteilstück in Anwesenheit von Bundesrat Moritz Leuenberger feierlich eingeweiht.

Villa Haslihorn: Königliche Sommerresidenz

Die Villa «Haslihorn» in St. Niklausen hat eine königliche Vergangenheit. Sie wurde 1874 erbaut und diente der belgischen Königsfamilie während Jahrzehnten als Sommerresidenz. 1898 erwarb Prinz Philipp, Graf von Flandern, Bruder des damaligen Königs Leopold II. von Belgien, das an den Vierwaldstättersee angrenzende Anwesen von der Luzerner Familie von Moos.

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Ab 1934 gehörte das Anwesen seinem Enkel König Leopold III. Nachdem dessen Frau Königin Astrid von Belgien 1935 bei einem tragischen Verkehrs­unfall ums Leben gekommen war, wurde die Liegenschaft 1938 an einen Basler Industriellen verkauft. An den Tod von Königin As­trid erinnert die Astrid-Kapelle in Küssnacht. Mit dem Verkauf der Liegenschaft war die Auflage verbunden, dass das Haus abgerissen werde. Gleichzeitig mit dem Neubau der Villa im Jahr 1938 wurde auch der Park neu gestaltet.

Die Villa Haslihorn auf einer historischen Postkarte.

Immer ein Ereignis

Die Anwesenheit der Königsfamilie war in Horw jeweils ein grosses Ereignis. Auch in der Poststelle und im Lebensmittelladen von Kastanienbaum war dies spürbar. Nach dem tödlichen Verkehrsunfall von Königin Astrid von Belgien trafen Beileidstelegramme aus aller Welt ein und mussten ins königliche Gut «Haslihorn» gebracht werden. Der junge König Leopold III. besuchte während seinen Motorradfahrten den Lebensmittelladen in Kastanienbaum und deckte sich dort mit Zigarren ein.

Die Villa «Haslihorn» ist seit 1938 im Besitz der selben Familie geblieben. Sie gehört heute der Familiengemeinschaft Vischer-Simonius aus Basel.

Franz Hess, ehemaliger Gemeindeschreiber (1970 – 1991)

Originale wie «Wäusch»

Ein Original ist eigenständig und schöpferisch. Auch wenn alle Menschen einzigartig sind, macht wohl erst die Unbeirrbarkeit das Original aus. Das spezielle Selbstbewusstsein und die Zivilcourage bilden zwei Grundvoraussetzungen für das, was wir irgendwann als ein Original erkennen, welches in einer Gesellschaft oft durch sein exzentrisches Auftreten auffällt.

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Allerdings schlüpfen diese Menschen in der Regel nicht freiwillig in die Rolle des Originals. Ihre authentische Besonderheit macht sie gerade in unserer heutigen Gesellschaft verletzlich. Deshalb ist bei diesen Menschen eine respektvolle und behutsame Annäherung besonders wichtig.

Der einzigartige Velomechaniker

Horw hat im Laufe der Zeit viele Originale hervorgebracht. Wer von den älteren Horwern kennt nicht «Wäusch», den einzigartigen Velomechaniker bei der Wegscheide, der immer gut gelaunt seine Kundschaft mit Geschichten und Eindrücken aus seinem Leben unterhalten hat.

Geschichtenerzähler

Auch wenn das Velo nicht immer rechtzeitig geflickt war, konnte ihm niemand böse sein. Schnell hatte er seine Kunden mit einer Schilderung für sich gewonnen. Die jungen Frauen wurden besonders zuvorkommend bedient und die Knaben waren fasziniert von einer Welt, die sich durch «Wäuschs» Erzählungen neu für sie auftat.

Benno Zumoberhaus, Gemeindearchivar Horw

Die letzte Schiffspost der Schweiz

Nebel herrschte am 9. Dezember im Jahr 1964. An diesem Wintertag brachte das Schiff zum letzten Mal die Post nach Kastanienbaum. Es war sogar die letzte Schiffspost der Schweiz, die hier anlegte, denn ab dem 10. Dezember 1964 fuhr die Bahn von Engelberg nicht mehr nur bis zur Schiffstation in Stansstad, sondern bis nach Luzern und machte so die Schiffspost überflüssig. Seit 1881 waren alle Postsendungen mehrmals pro Tag auf dem Schiffsweg nach Kastanienbaum gekommen und an der Station hatte der Posthalter sie abgeholt. Ab 1964 brachte drei Mal täglich ein Lastwagen die Postsendungen von Luzern nach Kastanienbaum. Auch die Poststelle in St. Niklausen wurde bis an diesem Tag durch die Schiffspost bedient.

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Schwimmendes Postamt

Was auf den Bahnlinien der Schweiz die Briefe sortierende Bahnpost war, war für den Vierwaldstättersee die Schiffspost. Am Vierwaldstättersee fallen die Berge oft steil ins Wasser ab und liessen wenig Raum für Strassen und Schienen. Daher war der See lange Zeit der bequemste Zufahrtsweg. Das führte dazu, dass auf dem Vierwaldstättersee die einzige schwimmende Post der Schweiz betrieben wurde. Alle Dampfschiffe sowie das Motorschiff «Waldstätter» waren ausgerüstet mit einem Postbetriebsraum, in dem während der Fahrt die Briefe und Zeitungen für die einzelnen Ortschaften am Seeufer sortiert und in Postsäcke abgefüllt wurden.

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Jedes dieser Schiffe hatte einen eigenen Stempel für jene Briefe, die im Schiffsbriefkasten eingeworfen wurden. Neben Kastanienbaum und St. Niklausen fuhr das Postschiff auch Ortschaften wie Kehrsiten und Stansstad an und sortierte schwimmend ebenfalls alle Post für die Ortschaften zwischen Stansstad und Engelberg.

Die Schiffspost Kastanienbaum: Ein Postwagen afu dem Schiffssteg.
Die Schiffspost hat in Kastanienbaum angelegt.

Drei Generationen – eine Post

Fast 100 Jahre lang hat die Familie Zurflüh die Poststelle in Kastanienbaum betrieben und die Post entgegengenommen, wenn ein Schiff anlegte. Die Posthalter-Dynastie der Familie Zurflüh begann 1917. Der letzte Posthalter war Ruedi Zurflüh, der auf seinen Vater Robert junior und seinen Grossvater Robert Zurflüh folgte. Mit der Pensionierung von Ruedi und Judith Zurflüh 2015 endete die 98-jährige Ära. Seit 2016 gibt es eine kleine Postagentur im Seehotel Kastanienbaum.

Ruedi Zurflüh, von 1982 bis 2015 Posthalter in Kastanienbaum